Der Garten befindet sich in einem Hofkarree inmitten einer Plattenbausiedlung,
die nach der Wende in einem gesamtstädtebaulichen Konzept teilweise zurückgebaut,
saniert und weiterentwickelt wurde.
Es ist nicht schwierig, sich beim Anblick dieses Karrees die ursprüngliche Landschaftsform dieser Gegend vor der Industrialisierung vorzustellen.
Das Neubaugebiet mit den Plattenbauten entwickelte die Architekten der 1970er Jahre mit ihrer europäischen, rationalen Logik.
Wer sich auf das Erkennen dieses Wechselspiels einlässt, der kann auch noch mehr sehen.
So wirkt der Gesamtgarten auch wie eine Seenlandschaft mit mehreren Inseln oder wie Bergspitzen über den Wolken,
er kann sogar als die Planeten im All interpretiert werden.
Wie im traditionellen japanischen Garten ist auch hier die Kraft der Natur durch die Komposition der Steine,
des Wassers und der Pflanzen immer spürbar. Das Besondere an diesem Garten jedoch ist,
dass er sich in einem großartigen städtischen Raum befindet, mit dem er im ständigen Dialog steht.
Das Grundstück. auf dem der japanische Garten errichtet wird, ist ein Karree,
das ringsum von Wohnzeile umschlossen ist. Die Wohnhäuser dieser Großwohnsiedlung
„Südstadt Leinefelde“ stammen aus der DDR-Zeit und wurden durch in seiner Zeit
massenhaft eingesetzten,typischen Plattenbauweise errichtet. Der Teil der Siedlung
wurde Mitte der 90er Jahren von Münchener Architekten saniert bzw. umgestaltet.
Das Karree, das aus der Umgestaltung entstand und „Wohnhof“ genannt werden kann,
springt doch wegen seiner Dimension über die Vorstellung des „normalen“ Wohnhofs
hinaus,ja sogar bis zur Maßstabslosigkeit.
Andererseits verbirgt der „Hof„ gerade wegen seiner Übergröße Potentiale,
die in normale Stadträume nie verwirklichen können. Das ist die Vorstellung der
„Ville Radieuse“ von Le Corbusier. In den 20er Jahren schlug der berühmte französische
Architekt eine Stadt vor,die von Licht und Grün gefüllt und über großzügige Freiflächen
verfügt. Es war mein grundsätzlicher Ausgangspunkt, den Wohnhof mit einem japanischen
Garten zu gestalten, der die Bürger zu vielfältigen Aktivitäten einlädt.
Die Gestaltung des Hofs muss zwei widersprüchlichen Ansprüchen genügen:nach
menschlichem Maßstab sein und den vorgegebenen städtebaulichen Reiz nach Möglichkeit
erhöhen. Bei der Festlegung der Lage und der Größe des japanischen Gartens und dessen
Gestaltung habe ich mich mit folgenden drei Faktoren auseinandergesetzt.
1. Zur Lösung des Problems „leerstehende Wohnungen“ wurde eine Wohnzeile,
die in der Mitte des jetzigen Hofs stand, abgetragen. Als sichtbares Element blieben
zusammenhangslos ehemaligen Erschließungswege, unter denen mehrere Versorgungsleitungen
liegen. Die Kellerräume des abgetragenen Gebäudes wurden mit Bauschutt ausgefüllt.
2. Im Vergleich zu durchschnittlichen deutschen Städten leben hier mehr Menschen,
insbesondere Jugendliche, die aufgrund der Arbeitslosigkeit oder des niedrigen Einkommens
sich gegen die Gesellschaft einstellen oder wenig Hoffnung in der Zukunft sehen.
Als Folge dieser Tatsache bestehen allgemeine Gefahr des Wandalismus und Diebstähle
speziell gegen Einrichtungen und Pflanzen im Garten.
3. Die Stadt Leinefelde liegt mitten am Rande des Naturparks Eichsfeld und der Fluss
Leine entspringt im Stadtgebiet Leinefeldes.
In Bezug auf den ersten Faktor habe ich die bestandene städtebauliche Struktur durch
die Errichtung des japanischen Gartens nicht zerstören wollen. Das kommt aus dem Gedanken,
dass hier wenigstens die Spuren des einstigen Lebens gesichert werden sollten.
So werden Konturen des abgetragenen Wohnhauses dezent sichtbar gemacht und in die
Gesamtgestaltung einbezogen.
Als Maßnahme gegen die in Punkt 2 genannte Gefahr kann zunächst die Lage des japanischen
Gartens gesehen werden. Er gehört unverwechselbar zum Festsaal, d.h. jeder sieht,
dass der Garten Teil der gemeinsamen Einrichtung ist. Um diesen Öffentlichkeitscharakter zu
unterstreichen, verläuft ein Weg mitten durch den Garten, der von jedem jederzeit
zugänglich ist und von dem jeder jederzeit den japanischen Garten genießen kann.
Das ist die etwas umgestaltete Rampe, die ursprünglich für den Zugang der Rollstühlfahrern
zu WVL-Einrichtungen gedacht war. Entlang dieser Rampe wird der „Fluss“ angelegt,
der den Besuchern optische und akustische Reize gibt und gleichzeitig eine Funktion als
Barriere übernimmt, Gelegenheitsdelikte zu verhindern. Entlang der nördlichen und
westlichen Grenze wird eine natürliche Barriere aus einer niedrigen Mauer und Heckenpflanzen
vorgesehen. Die Härte der Mauerkante wird durch weitere Bepflanzungen gemildert.
Der japanische Garten streckt sich somit im Norden bis zum Erschließungsweg und dort liegt
der „Berg“ mit dichtem Gehölz, im Westen und im Osten grenzt sich der Garten jeweils durch
Bepflanzung und Gebäude und nach Süden hin öffnet er sich großzügig. In dieser „Landschaft“
wird die Bewegung des Wassers als „Fluss“, der als Wasserfall anfängt und nach langsamem
Schlängeln das „Meer“ erreicht, eingeplant. Das symbolisiert die Landschaft entlang der Leine
und die Leine selbst, die hier entspringt und schließlich in die Nordsee einfließt.
Ich versuche, diese Landschaft mit traditionellen Mitteln des japanischen Gartens auszudrücken.
Aus diesem Grund sollen die Gestaltungselemente des Gartens wie Steine und Pflanze nach
Möglichkeit vor Ort gesucht werden. Besonders bei der Auswahl der Bäume bzw. Pflanzen wird
darauf großer Wert gelegt, dass die lange und strenge Winterzeit berücksichtigt wird und
der Garten dennoch winterliche Schönheit ausstrahlt.
Um den großzügigen Außenraum, den die Architekten hier geschaffen haben, nicht unnötig
zu stören,werden Bäume vermieden, die unkontrolliert hoch wachsen können. Dies hat für diesen
japanischen Garten noch eine wichtige Bedeutung.
Ich bin der Meinung, dass der Standort des Gartens, besonderes in dieser Umgebung, nicht
vorgetäuscht werden soll. Ich werde sogar die umliegende Gebäude aktiv in die Gestaltung des
Gartens einbeziehen, (Shakkei: eine Technik der japanischen Gartengestaltung, die die weite
Landschaft in den privaten Garten optisch einbezieht) damit hier im Kontrast zwischen den
geometrischen Muster des Gebäudes und den organischen Linien des Gartens eine originelle Identität
des Ortes entsteht. Es ist beabsichtigt, den Effekt noch zu verstärken, indem hier die Technik
der „Gegenperspektive“ eingesetzt wird.
Die Größe der Bäume bzw. Pflanze werden so bestimmt, dass sie, insbesondere von den Standorten,
von denen meisten Besucher am häufigsten den Garten besichtigen – auf der Terrasse am Festsaal und
auf der vorhin erwähnten Rampe – im Vordergrund niedrig und in die Tiefe sukzessiv großer sind.
Dadurch erscheint der Raum flacher, so dass der Garten als ein „Bild“ empfangen werden kann.
Das ist mein Wunsch, dass die Besucher das Bild im weiten surrealistischen Hintergrund als
eine blühende Realität wahrnehmen.
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